Der Gegenstand dieses Teilprojekts ist die Erforschung der Sprache am Menschen, die im Kontext der Société des observateurs de l'homme (SOH) durchgeführt wurde. Die Forschungspraktiken, die in diesem Rahmen den Menschen zum Gegenstand und zu einer Ressource zur Generierung von Wissen über Sprache machten, sollen zunächst auf die forschungsleitenden Epistemologien des Wissens von der Sprache befragt werden. In einem zweiten Schritt wird nach den Politiken dieser Epistemologien gefragt.
Epistemologien
In diesem Zusammenhang waren es vor allem drei menschliche Forschungsgegenstände, die die Erforschung der Sprache im Rahmen der SOH kennzeichneten: Der Wilde, der Taubstumme und der Chinese Tchong-a-Sam. Das Teilprojekt nimmt sich deshalb diese Objekte, die auch zu einem Instrument der Herstellung einer intellektuellen Öffentlichkeit für die SOH wurden, zum Ausganspunkt, um die um sie entfalteten Epistemologien des Wissens zu untersuchen. Der Taubstumme wurde am Pariser Taubstummeninstitut, das von Roch-Ambroise Sicard geleitet wurde, zur Ressource der Erzeugung von Wissen über die Sprache im Rahmen der Kunst (art) und Wissenschaft (science) der Grammatik, der Erziehung und von medizinischem Wissen. Jean Itard, der Mediziner des Taubstummeninstituts führte dementsprechend Versuche an den Taubstummen durch, die mit zur Vorgeschichte der Otologie gehören. Sicard legte mit seinem Cours d'instruction d'un sourd-muet de naissance (1799) einen Text vor, der als Entwurf einer experimentellen Pädagogik betrachtet werden kann. Die von ihm entwickelte Taubstummensprache sollte als Entwurf einer universellen Sprache auch Eingang in politische Debatten finden. Wie der Taubstumme von Sicard wurde auch der Wilde, in diesem Fall der Sauvage de l'Aveyron Victor von Jean Itard als eine tabula rasa konstruiert, von der ausgehend man die sensualistische Philosophie Lockes und Condillacs durch eine experimentelle Philosophie zum Gegenstand der Forschung machen konnte. Die Frage nach der Enstehung von Wissen im allgemeinen und Sprache im besonderen sollte so einer konkreten Forschung zugänglich gemacht werden. Das Gleiche gilt in veränderter Form von Tchong-a-Sam, einem chinesischen Händler, der auf verschlungenen Wegen in den Zugriffsbereich der SOH gelangt war. Als grammaire vivante, wie Leblond sich ausdrückte, sollte die Erforschung der chinesischen Sprache Gegenstand einer Forschungspraxis am lebenden Menschen werden.
Politiken
Die Tatsache, dass alle im Rahmen des Teilprojekts untersuchten Forschungsgegenstände in verschiedener Weise als tabula rasa-Wesen konstruiert worden waren, machte sie für verschiedene macht- und wissenspolitische Strategien verfügbar. In ummittelbarer zeitlicher Nachbarschaft wurden im Verlauf der Französischen Revolution viele Standards neu und bewusst gegen alte Standards neu definiert, wie die Standards für Maße und Gewichte, der Revolutionskalender und die Neuaufteilung Frankreichs nach Kriterien, die von den Akteuren als rational bezeichnet wurden. Dieses Projekt schloss auch den Versuch mit ein, für eine neue science sociale, oder auch art social, die zur Grundlage einer neuen und vernünftigen Kunst der Regierung werden sollten, die Sprache zu reformieren oder auch zu revolutionieren. Die zentrale Stellung des Zeichens (signe) in der Reformierung dieser politischen Wissenschaften machte auch eine neue Wissenschaft von der Sprache notwendig, die jenseits der überkommenen Wissensbestände die Wissenschaft von der Sprache neu konstituieren sollte.
Um diese Wissenspolitiken untersuchbar zu machen, wird dieses Teilprojekt versuchen zu zeigen, dass bestimmte Epistemologien Strukturanalogien zu bestimmten politischen Konfigurationen der Produktion von Macht aufwiesen. In einigen Fällen war diese Überkreuzung von Macht- und Wissenspolitiken ein Ausdruck von personellen Überschneidungen innerhalb der SOH, wenn Akteure zugleich zentrale wissenschaftliche und politische Positionen innehatten (wie dies etwa für Joseph-Marie Degérando gilt).