Gesellschaftliche Modernisierung und die Genese abstrakten Wissens: Wandlungen der mathematischen Forschungskultur zwischen den Weltkriegen


Mitarbeiter

Prof. Dr. Moritz Epple, Dipl.-Math. Nico Hauser, Bjoern Schirmeier M.A., Birgit Bermann M.A.

Schlüsselpublikationen

Darstellung des Projekts im Forschungsantrag als pdf-Datei

Kurzbeschreibung

Das Forschungsvorhaben bildet ein Teilprojekt des Sonderforschungsbereichs/FK 435 "Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel" der DFG. Es untersucht den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichem Wandel und einer hochspezialisierten wissenschaftlichen Forschungskultur am Beispiel der deutschsprachigen mathematischen Forschungskultur der Periode zwischen den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts. Zu diesem Zweck werden drei Themenkomplexe isoliert, an denen ein Aufweis des genannten Zusammenhangs möglich erscheint.

Zum einen wird die breite Etablierung einer professionalisierten "angewandten" Mathematik in der Weimarer Republik verfolgt, um deutlich zu machen, wie die mathematische Forschungskultur auf neue, mit der sozialen und technologischen Modernisierung einhergehende Wissensbedürfnisse reagierte. Hauptgegenstand der Untersuchung sind die führenden Akteure und Institutionen der 1922 gegründeten Gesellschaft für angewandte Mathematik und Mechanik (GAMM). Exemplarisch wird dabei auch untersucht, ob und wie das Wissen, das im Verlauf dieser Entwicklung generiert wurde, die Praxis in nichtmathematischen Anwendungsfeldern veränderte.

Zum zweiten wird exemplarisch ein bestimmtes lokales Forschungsmilieu studiert, in dem modernistische intellektuelle und kulturelle Einstellungen dominierten, um zu untersuchen, inwiefern Strömungen der kulturellen Moderne die mathematische Forschung selbst geprägt haben bzw. inwiefern modernistische Haltungen innerhalb der mathematischen Forschung sich mit entsprechenden kulturellen Orientierungen überkreuzt haben. Im Fokus der Untersuchung steht die Wiener mathematische Moderne, insbesondere die Tätigkeit und das Umfeld des Wiener Mathematikers Hans Hahn, der schon früh in der Wiener Volksbildung aktiv war, zu den Initiatoren des "Wiener Kreises" zählte und als Mentor bedeutender jüngerer Mathematiker (u.a. K. Reidemeister, K. Menger, K. Gödel) erfolgreich war, sowie Mengers „Mathematisches Kolloquium“. Dabei soll unter anderem geklärt werden, inwiefern sich die dezidierte Modernität der mathematischen Beiträge Hahns und seiner Schüler diesem kulturellen Milieu verdankt.

Zum dritten werden (sozial- und kulturhistorisch komplementär zu den ersten beiden Problemkomplexen) Reaktionen auf kulturpessimistische Thesen über die Mathematik untersucht. Gegenstand der Untersuchung sind vor allem die Auseinandersetzungen um die mathematikbezogenen Thesen in Spenglers "Untergang des Abendlandes" von 1918, die von Mathematikern, Mathematikhistorikern und Philosophen geführt wurden. Es zeigt sich, dass Teile der mathematischen Forschungskultur der Weimarer Zeit sehr sensibel, aber in ganz verschiedener Weise auf derartige kulturkritische Betrachtungen der Mathematik reagiert haben - nicht zuletzt durch eine ernsthafte Diskussion über frühere und zeitgenössische Beziehungen zwischen Mathematik und Kultur.

Gemeinsam zielen die drei Untersuchungskomplexe darauf, spezifische Interaktionsbeziehungen zwischen einer Gesellschaft, die sich in rasanten Modernisierungsprozessen befand und von kulturellen Auseinandersetzungen zwischen modernistischen und modernitätskritischen Tendenzen geprägt war einerseits, verschiedenen Niveaus der mathematischen Forschungskultur (professionelle Infrastruktur, eigentliche Forschung und reflexiver Wissenschaftsdiskurs) andererseits freizulegen. In der allgemeinen Perspektive des SFB/FK 435 formuliert, geht es um die durch sozialen Wandel induzierte Generierung bzw. Modifikation einer Wissens-Subkultur, um die spezifische Generierung wissenschaftlichen Wissens, und um die kulturelle Genese reflexiver Deutungen von Wissenschaft.

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zuletzt geändert am 10.7.2007, jd