Lehrveranstaltungen der Arbeitsgruppe Wissenschaftsgeschichte
Wintersemester 2015/2016


Die Wissenschaft im Zeitalter der Extreme (Vorlesung)

Einführung in die historische Epistemologie (Seminar)

Expertentexte aus Assur (Übung)

Divinatorische Praktiken in mittelalterlichen arabischen und lateinischen Quellen (Übung)

Isaiah Berlin und die Geschichte der Ideengeschichte im Kalten Krieg (Übung)

Einführung in das Studium der neueren Geschichte: Kultur, Wissenschaft und Weltanschauung unter Hitler und Mussolini (Proseminar)

Wissenschaftshistorisches Kolloquium



Wissenschaft im Zeitalter der Extreme

Prof. Dr. Moritz Epple

Vorlesung

Di 14:00-16:00, Cas 1.811, ab 20.10.2014

Inhalt: Der Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert war in vielen Wissenschaften mit tiefgreifenden Umbrüchen verbunden, die auch die Gegenstände und Perspektiven der Forschung, ja das Wissenschaftsverständnis insgesamt veränderten. In der Physik änderte sich durch Relativitätstheorie und Quantenmechanik, aber auch durch eine neue Experimentalkultur das grundlegende Bild des Kosmos, die Biologie machte sich an das Verständnis von zellulären und schließlich auch subzellulären Vorgängen bis hin zur Genetik, die Mathematik entwarf eine Vielzahl neuer, abstrakter Methoden, die innerhalb und außerhalb dieser Wissenschaft Verwendung fanden. Zugleich wurden manche Bereiche der Technik Gegenstand neuer Ingenieurwissenschaften wie z.B. der Aerodynamik. Durch die wachsende technologische Bedeutung gewannen wissenschaftliche Entwicklungen – nicht zuletzt in den beiden Weltkriegen, aber auch durch wissenschaftsgestützten Technologien der jüngsten Vergangenheit – ungeahnte gesellschaftliche Relevanz. Die Vorlesung gibt eine Einführung in einige Hauptlinien dieser Entwicklung und zugleich in einige aktuelle theoretische Positionen einer Geschichte der Naturwissenschaften im „Zeitalter der Extreme“.

Einführende Literatur:
* Krige, John und Pestre, Dominique (Hg.), Science in the Twentieth Century, Amsterdam 1997
* The Cambridge History of Science. Cambridge 2002 - ; hier Bd. 5, The Modern Physical and Mathematical Sciences, hg. von Mary Jo Nye, Cambridge 2002
* Kragh, Helge, Quantum Generations. A History of Physics in the 20th Century, Princeton 2002
* Latour, Bruno und Woolgar, Steve, Laboratory Life. The Social Construction of Scientfic Facts, Los Angeles 1979
* Fox Keller, Evelyn, The Century of the Gene, Cambridge, Mass. 2000
* Rheinberger, Hans-Jörg, Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas, Göttingen 2001
* Rheinberger, Hans-Jörg und Müller-Wille, Staffan, Vererbung. Geschichte und Kultur eines biologischen Konzeptes, Frankfurt am Main 2009


Einführung in die historische Epistemologie

Prof. Dr. Moritz Epple

Seminar

Do 10:00-12:00, IG 4.401, ab 15.10.2015

Inhalt:
Das Seminar führt in die historische Analyse der wissenschaftlichen Erkenntnispraxis ein, die seit einiger Zeit unter dem Titel der historischen Epistemologie zusammengefasst wird. Die historische Epistemologie geht davon aus, dass sich nicht nur die Inhalte, sondern auch die Verfahren, Formen und Konzepte wissenschaftlichen Erkennens historisch verändern, und sie entwickelt methodische Instrumente zur Analyse dieser Variationen. Im Seminar werden zugleich zentrale Positionen einer theoretisch orientierten Wissenschaftsgeschichte sowie der Soziologie des wissenschaftlichen Wissens aus dem 20. Jahrhundert vorgestellt.
Da das Seminar vor allem methodisch ausgerichtet ist, eignet es sich ebenso als Einstieg in eine vertiefte Beschäftigung mit der Wissenschaftsgeschichte wie für Studierende aus anderen Fächern, die wissenschaftshistorische Methoden kennen lernen wollen.

Einführende Literatur (in chronologischer Folge):
* Gaston Bachelard, Der neue wissenschaftliche Geist, Frankfurt 1988 (frz. Original Paris 1934)
* Ludwik Fleck, Die Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, Frankfurt 1980 u.ö. (Original Basel 1935)
* Georges Canguilhem, Wissenschaftsgeschichte und Epistemologie. Gesammelte Aufsätze, Frankfurt 1980
* Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt 1974 (frz.: Les mots et les choses, Paris 1966)
* David Bloor, Knowledge and Social Imagery, 2. Auflage, Chicago 1991 (1. Auflage 1976)
* Hans-Jörg Rheinberger, Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas, Frankfurt 2006
* Hans-Jörg Rheinberger, Historische Epistemologie zur Einführung, Hamburg 2007 (zur ersten Orientierung gut geeignet) * Lorraine Daston/Peter Galison, Objektivität, Frankfurt 2007


Expertentexte aus Assur

Dr. Daliah Bawanypeck

Übung 

Di 16:00-18:00, IG 4.401, ab 13.10.2015

Inhalt: Assur war mehrere Jahrhunderte lang die Hauptstadt des assyrischen Reiches und blieb darüber hinaus bis zur Zerstörung im Jahre 614 v. Chr. das religiöse Zentrum für die Verehrung des Reichsgottes Assur.
Die Tontafelbibliotheken der assyrischen Metropole enthalten keilschriftliche Sammlungen aus der mittel- und neuassyrischen Zeit, die Zugang zu den Wissensgebieten der gelehrten Experten ermöglichen. Von besonderer Bedeutung sind die Texte aus der Bibliothek des „Beschwörungspriesters“ Kiṣir-Aššur. Sie verdeutlichen nicht nur, mit welchen Aufgaben die Ritualexperten befasst waren, sondern geben auch Aufschluss über die Laufbahnen einiger neuassyrischer Schreiber.
Ziel der Übung ist es, anhand von Texten aus Assur einen Einblick in die Arbeit der assyrischen Gelehrten und ihr kulturelles und soziales Umfeld zu erhalten.

Literatur:
* Olof Pedersen, Archives and Libraries in the City of Assur II. Uppsala: Almqvist & Wiksell, 1986, S. 41-59
* Stefan M. Maul, „Die Tontafelbibliothek aus dem sogenannten »Haus des Beschwörungspriesters«“, in: S.M. Maul – N.P. Heeßel (Hg.), Assur-Forschungen. Arbeiten aus der Forschungsstelle “Edition literarischer Keilschrifttexte aus Assur” der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Wiesbaden: Harrassowitz 2010, S. 189-228


Divinatorische Praktiken in mittelalterlichen arabischen und lateinischen Quellen

Dr. Petra Schmidl

Übung 

Di 10:00-12:00, IG 4.401, ab 13.10.2015

Inhalt: Egal ob Krake Pauls Bewegungen etwas über Fußball, eines Gänseblümchens Blütenblätter etwas über die Liebe oder der Lauf der Planeten etwas über die kommende Woche sagen, die Deutung von Zeichen, um aus ihnen etwas über die Zukunft zu erfahren, fasziniert bis heute und findet sich in vielen verschiedenen Ausprägungen zu unterschiedlichen Zeiten und Orten. Natürliche und artifizielle, irdische und himmlische Zeichen, im Mittelalter wird (fast) alles, häufig unter Zuhilfenahme von komplizierten Techniken und ausgefeilten Verfahren, gedeutet.
Die Übung wird Beispiele divinatorischer Praktiken in mittelalterlichen arabischen und lateinischen Quellen in den Blick nehmen. Dabei werden genauere Untersuchungen der in den verschiedenen Quellen beschriebenen Techniken und Verfahren im Vordergrund stehen. Ergänzend werden grundlegende Vorstellungen und zeitgenössische Wertungen sowie die historische, politische, soziale und weitere Funktionen divinatorischer Praktiken näher beleuchtet.

Literatur:
* Burnett, Charles: Magic and Divination in the Middle Ages (Variorum Collected Studies Series. Aldershot 1996
* Fidora, Alexander (Hg.): Die mantischen Künste und die Epistemologie prognostischer Wissenschaften im Mittelalter: Unter redaktioneller Mitarbeit von Katrin Bauer (Beiheft des Archivs für Kulturgeschichte 74). Wien und Köln 2013
* Savage-Smith, Emilie (Hg.): Magic and Divination in Early Islam (The Formation of the Classical Islamic World 42). Aldershot 2004


Isaiah Berlin und die Geschichte der Ideengeschichte im Kalten Krieg

Dr. phil. Fabian Link, Laurens Schlicht M.A.

Übung

Mi 14:00-16:00, IG 251 (EG), ab 14.10.2015

Inhalt: Die Geschichte der Ideengeschichte ist nicht zu denken ohne die durch Bolschewismus, Nationalsozialismus und durch die zwei Weltkriege bewirkten Brüche und Beschädigungen der Lebenswege liberaler und jüdischer Intellektueller. Isaiah Berlin ist einer davon. Berlin, in Riga geboren und jüdischer Herkunft, hatte zwei „totalitäre“ Revolutionen miterlebt: die bolschewistische und die nationalsozialistische, die eine hautnah, die andere vom sicheren England aus. Nachdem seine Familie 1919 nach England emigriert war, arbeitete Berlin ab 1940 in den Vereinigten Staaten für die britische Regierung. Berlin sah sich selbst in der Tradition der Aufklärer, für den die Beteiligung seiner Person als Intellektueller in öffentlichen und politischen Debatten selbstverständlich war. Sein intellektueller Ansatz war der Wertepluralismus einerseits, die Annahme, es gäbe bestimmte universelle Werte, die für alle Menschen gelten würden, andererseits. Die Übung wird der Frage auf den Grund gehen, inwiefern die Entwicklung dieses demokratisch-liberalen Denkansatzes mit dem persönlichen Lebensweg Berlins verbunden war.
Die Übung vermittelt den Studierenden einen Einblick in Schriften Isaiah Berlins, die von Sekundärliteratur zur Geschichte der Ideengeschichte im Kalten Krieg grundiert werden. Der Schwerpunkt wird auf der genauen Lektüre der Quellen liegen. Die Aufgaben während des Semesters umfassen die mündliche Beteiligung an den Diskussionen, eine Quellenkritik, eine Kurzpräsentation und einen Essay gegen Ende des Semesters.

Einführende Literatur:
* George Crowder, Isaiah Berlin: Liberty and Pluralism. Cambridge 2004
* Dubnov, Arie M.: Isaiah Berlin: The Journey of a Jewish Liberal. New York u.a. 2012
* Ignatieff, Michael: Isaiah Berlin: Ein Leben. München 2000
* Müller, Tim B.: Krieger und Gelehrte. Herbert Marcuse und die Denksysteme im Kalten Krieg. Hamburg 2010


Einführung in das Studium der neueren Geschichte: Kultur, Wissenschaft und Weltanschauung unter Hitler und Mussolini

Dr. phil. Fabian Link

Proseminar

Do, 14:00 - 17:00, Seminarhaus SH 4.104, ab 22.10.2015

Inhalt: Lange Zeit galten in der Geschichtswissenschaft faschistische und nationalsozialistische Kultur und Kulturerzeugnisse als Ausdruck einer barbarischen „Unkultur“. In ähnlicher Weise wurden auch die Geistes- und Naturwissenschaften unter den faschistischen Regimen behandelt: Wissenschaftliches Wissen, das im NS-Regime und im faschistischen Italien entstanden war, galt nicht nur als ethisch verwerflich, sondern als wissenschaftlich unbrauchbar. Jüngere Forschungen haben gezeigt, dass beide Regime, Mussolinis Italien und Hitlerdeutschland, ausgreifende Kulturkonzepte und Kultureinrichtungen ins Leben riefen, die Italien wie Deutschland Glanz und Glorie bescheren, die Deutschen und Italiener zu „neuen Menschen“ machen sollten. Hierzu gehörten Unterhaltungseinrichtungen wie Kino, Radio, Theater, Freilichtspiele, Feiern aller Art und Aufmärsche, Bauprogramme und die Umgestaltung ganzer Landschaften, der Bau von Kunsthäusern und Museen, Tourismus und Freizeitgestaltung oder die Gestaltung einer neureligiösen Kultur. Die Wissenschaftsgeschichte hat parallel dazu unlängst dargelegt, dass die Wissenschaften im NS-Regime keineswegs einen Niedergang erlitten. Im Gegenteil: wissenschaftliche Institutionen wurden neu gegründet und anwendungsorientierte Wissenschaften oftmals stark gefördert. Das faschistische und nationalsozialistische Kultur- und Wissenschaftsverständnis gehörte zur radikalen „faschistischen Moderne“, die in der heutigen Forschungsliteratur als Alternative zu sozialistischen und liberalen Staatsentwürfen angesehen wird. Diese faschistische Moderne war inhärent verbunden mit Imperialismus, Krieg und Massenvernichtungspraktiken. Das Proseminar wird dieser Spannung zwischen modernen Kultur- und Wissenschaftskonzepten und faschistischer Barbarei auf den Grund gehen. 

Vorausgesetzt wird die mündliche Teilnahme an den Sitzungsdiskussionen. Verlangt wird zudem das Erstellen eines Essays während des Semesters und einer Hausarbeit in den Semesterferien.

Literatur:
* Roger Griffin, Modernism and Fascism: The Sense of a Beginning under Mussolini and Hitler. Basingstoke 2007
* George L. Mosse, Nazi Culture: Intellectual, Cultural and Social Life in the Third Reich. Madison, Wisconsin 2003
* Anson Rabinbach/Wolfgang Bialas, Nazi Germany and the Humanities. Oxford 2007


Wissenschaftshistorisches Kolloquium

Prof. Dr. Moritz Epple, Prof. Annette Warner

Kolloquium

Di 18:00 - 20:00, Raum IG 1.414 oder IG 4.401, ab 20.10.2015

Inhalt: Es werden zum Einen laufende Examens- und Doktorarbeiten vorgestellt, zum Anderen neuere wissenschaftshistorische Publikationen gemeinsam diskutiert. Teilnehmerinnen und Teilnehmer (auch aus angrenzenden Gebieten) sind nach Rücksprache mit dem Veranstalter herzlich willkommen.

Zu den Vortragsveranstaltungen mit auswärtigen Gästen sind alle Interessierten herzlich eingeladen. Das laufende Programm des Kolloquiums finden Sie im Internet unter www.uni-frankfurt.de/fb08/HS/wg/ über den entsprechenden Link unter "Aktuelles".

Programm



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zuletzt geändert am 15.10.2015, jd