Die Wissenschaftskultur der Aufklärung und die Rechtfertigung normativer Ordnungen

Das 18. Jahrhundert bildet die zentrale Bühne der Auseinandersetzung der neuen europäischen Wissenschaft mit der tradierten normativen Ordnung der europäischen Staaten. Politische und soziale Rechtfertigungen normativer Ordnungen stehen zur Zeit der Aufklärung in einem dynamischen Wechselverhältnis mit der Herausbildung natur- und humanwissenschaftlicher Normen und Denkmuster. Im Mittelpunkt des Forschungsprojektes steht die Untersuchung der Ansprüche der natur- und humanwissenschaftlich orientierten französischen philosophes des 18. Jahrhunderts auf Revision der normativen Ordnung einer ‚aufgeklärten’ Gesellschaft. Insbesondere wird untersucht, wie sich die narrativen Muster der Rechtfertigung zentraler politischer und sozialer Normen mit dem Auftritt der modernen Wissenschaften verändert haben.

Die Interdependenz von Wissensordnungen und normativen Ordnungen zeigt sich exemplarisch im Umfeld der von Diderot und d’Alembert herausgegebenen Encyclopédie. Die „enzyklopädische Ordnung“ erscheint angesichts einer von Klerus und autoritärer Regierung geprägten öffentlichen Wissenskultur als revolutionärer Entwurf eines Wissenssystems, das sowohl implizit durch seine kognitive und mediale Struktur wie explizit durch seinen Inhalt eine neue normative Ordnung der Gesellschaft zu befördern sucht. Gleichzeitig stützt sich das Projekt auf den wachsenden und zunehmend kulturelle Macht gewinnenden Bestand an wissenschaftlichem Wissen der Zeit.


Projektmitarbeiter

Prof. Dr. Moritz Epple, Dagmar Comtesse M.A., Marianne Schepers M.A.

Das Projekt kooperiert mit dem französischen Forschungsnetzwerk zur Neuedition der Œuvres complètes von Jean d’Alembert (Paris/Lyon)

Kurzbeschreibung

Das Forschungsprojekt bildet ein Teilprojekt des Excellensclusters 243 "Die Herausbildung normativer Ordnungen". Es konzentriert sich zunächst auf die Werke Jean le Rond d'Alemberts (1717-1783) und hier insbesondere auf die im Discours Préliminaire de l’Encyclopédie (1751) angelegte und in dem Essai sur les Eléments de Philosophie (1759) entworfene Wissensordnung und ihre sozio-politischen Implikationen. Die Schriften d’Alemberts sind im deutschsprachigen Raum bislang nur vereinzelt rezipiert worden. Daher stellt die Übersetzung und kommentierte deutsche Erstausgabe des Essai sur les Eléments de Philosophie und anderer Schlüsseltexte des Untersuchungsfeldes einen weiteren Schwerpunkt der Projektarbeit dar.

Über die Epoche der Aufklärung hinaus ergibt sich die systematische Frage, welche Rolle neues Wissen in der Delegitimierung tradierter Rechtfertigungsnarrative normativer Ordnungen spielt, und wie umgekehrt Narrative der Rechtfertigung sich auf Wissen bzw. Wissensansprüche stützen können. Die Relevanz dieser Frage zeigt sich in den aktuellen normativen Konflikten überall dort, wo wissensgestützte Rechtfertigungsnarrative auf andere Narrative treffen, in welchen die betreffenden Wissensansprüche zurückgewiesen oder zumindest in ihrer Bedeutung relativiert werden. In diesem Zusammenhang wird zusammen mit Prof. Dr. Karl-Heinz Kohl eine Erweiterung des Projektes insbesondere auf Forschungsreisen im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert vorbereitet, in welchen eben diese Situation eintrat.

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zuletzt geändert am 21.9.2009, jd